Wilhelm
Pflüger,
ein Priester im NS-Widerstand
Von
Helmut Größ
Wilhelm
Pflüger wurde am 31.Jan.1952 in Vierkirchen als Pfarrer investiert, am
1. März in der Gemeinde pompös empfangen und am 16. März durch Prälat
Pfanzelt eingeführt. Damit begann eine kurze Episode dieses Geistlichen
in unserem Dorf. Dass dieser Seelsorger bereits eine mehr als kritische
Zeit in verschiedenen Pfarreien, zuletzt in Goldach, Gemeinde Hallbergmoos
im Nachbarlandkreis Freising, verbracht hatte, wussten damals die wenigsten
Vierkirchner. Seine religiöse und politische Überzeugung hatte ihn in
den letzten Kriegsmonaten sogar in das Konzentrationslager nach Dachau
gebracht. Diese Zeit und auch die Jahre davor im Widerstand gegen das
Naziregime prägten seine Psyche und seine priesterliche Tätigkeit nach
1945 ganz entscheidend.
Sein
Werdegang
Wilhelm
Pflüger wurde am 9.3.1906 in Riesenfeld, heute Münchner Stadtteil
Milbertshofen, als vierter von insgesamt acht Söhnen der Eheleute
Karl Friedrich und Karoline Pflüger geboren. Sein Vater war Kaufmann,
im Adressbuch Milbertshofen wird er als Tinten- und Gummistempelfabrikant
und Kaufmann benannt, wohnhaft Keplerstr. 28.i Nach der Eingemeindung
Milbertshofens 1921 nach München Umbenennung der Anschrift in Sailerstr.
28, heute Georgenschweige nahe BMW. Hier wuchs der junge Willi unter
dem strengen Regiment eines tiefgläubigen Vaters auf; er verbrachte
die ersten Jahre seiner Schulzeit bis 1916 in der Volksschule in München
Milbertshofen. Bis 1921 besuchte er das Ludwigsgymnasium in München,
danach fünf Jahre das Gymnasium Freising. Nach dem Abitur 1926 wurde
er in das Priesterseminar in Freising aufgenommen. Er folgte damit
dem kategorischen Beschluss seines Vaters, dass jeder zweite seiner
Buben Priester werden müsse. |

Die
Familie Pflüger um 1916, ganz rechts Wilhelm
Foto:
Fritz Pflüger
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Am 29. Juni 1932 erhielt Willi Pflüger
im Freisinger Dom die Priesterweihe. Anschließend feierte er in St. Sebastian
in München (Schleißheimerstrasse) die feierliche Primiz mit seinem älteren
Bruder Karl und dem Stadtpfarrer von St. Sebastian als Konzelebranten.ii
Seelsorge und Auflehnung gegen die neue Politik Am 16.7.1932 begann er seine
berufliche Laufbahn als Koadjutor in Rieden bei Starnberg.
Weitere
Aufgaben als Koadjutor folgten in Tacherting, Grassau und Lengdorf. Die
erste Kaplanstelle bekam er am 1.11.1933 in Bad Reichenhall, und ab 15.2.1934
in Töging am Inn. Besondere Aufgaben sah er in der Aufbau- und Betreuungsarbeit
der katholischen Jugend. Am 1.6.1935 kam er als Kooperator nach Aufkirchen
am Starnberger See und schließlich am 1.5.1936 nach Inzell. Dort nahm
er Kontakte zu Mitgliedern seiner früheren Pfarrei in Reichenhall auf
und betätigte sich in einer Gruppe von Antifaschisten.

Die
Familie Pflüger um 1932: hinten von links Hans, Heinrich, Friedrich,
Luitpold, Ernst und Bruno,
vorne Karl, die Eltern Karolina und Karl, Wilhelm. Foto:
Fritz Pflüger
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1937 wechselte er als Kooperator nach Neufahrn/Freising; ab 1.9.1938
zog er als Expositus der Pfarrei Hallbergmoos in den Pfarrhof in Goldach
ein. Seine negative Einstellung zu den Nationalsozialisten brachte
ihn schon bald in erste Schwierigkeiten. In dem "Fragebogen A, Nationalsozialistische
Verfolgung katholischer Geistlicher"i, den er 1946 ausgefüllt hatte,
berichtete er aus seiner Zeit als Kaplan in Töging (1934) von Vorladungen
vor das Landratsamt Altötting wegen Kanzelvergehen.Zweimal verwarnte
ihn die Gestapo München und Berlin ohne Verhör. 1935 erhielt er eine
Vorladung vor den Landrat in Starnberg erneut wegen Jugendseelsorge
in Aufkirchen a.W. (am Würmsee = Starnberger See), wo er ebenfalls
verwarnt wurde. Diese Vorladungen und Verwarnungen gingen auch bei
seinen folgenden Amtsstellen in Innzell und Goldach weiter, änderten
sein Verhalten aber in keiner Weise. |
Besonders
seine Tätigkeiten für die Jugend waren den NS- Stellen ein Dorn
im Auge. Denn vor allem in der Jugendarbeit überzog das Regime die Kirche
mit Repressionen. Zunächst verbot es Uniformen, Wimpel und Abzeichen,
im Laufe der 30er Jahre wurden schließlich alle katholischen Jugendvereine
zwangsweise aufgelösti. Die Jugendlichen versuchten, die Verbote zu unterlaufen,
indem sie sich heimlich mit ihren Seelsorgern trafen. Seit 1935 kämpfte
die Kirche vergeblich um den Bestand der "Bekenntnisschulen", die
vom Regime durch nationalsozialistische "Gemeinschaftsschulen" ersetzt
wurden. Erfolgreich war sie 1941 im Fall des "KruzifixErlasses": Die
gläubigen Bevölkerung erreichte mit massiven Protesten, dass Schulkreuze
weiterhin in den Klassenzimmern hängen blieben. Auch Pflüger schildert
im Einzelnen Überfälle der HJ Mühldorf und Töging auf kath. Jugendvereine
und den Präses, von Schlägereien und Verunglimpfungen, dem Abreißen des
Christuszeichens (1934), von Bedrohung der Christkönigsjugend in Aufkirchen
(1935/36). Auch hier war besonders der Präses das Opfer.
Auch
nach seinem Einzug 1938 in Goldach widmete sich Wilhelm Pflüger
ungeachtet der bisherigen Erfahrungen mit den Nazis intensiv der Jugendarbeit.
Er gründete Theatergruppen für Kinder sowie Jugendliche und baute das
Ministrantenwesen aus. Ein besonderer Schwerpunkt war die Förderung der
vokalen und instrumentalen Kirchenmusik; er beschaffte für die Goldacher
Kirche eine neue Orgel. Die Kirche wurde erst nach dem I. Weltkrieg 1919
gebaut. Der Grundstock war eine Fesselballonhalle, die in Blaichach bei
Sonthofen aus Heeresbeständen günstig erworben werden konnte.
Willhelm Pflüger war ein sehr konservativer Priester und eifriger
Seelsorger. Seine Predigten waren oft deftig, er nahm kein Blatt vor den
Mund und prangerte Missstände offen von der Kanzel herab an. Besonders
der sonntägliche Kirchenbesuch war ihm sehr wichtig. Eine Episode
dazu berichtet sein Neffe Fritz Pflüger: "Eines Sonntags erklärte er mir
vor der Messe, ich solle nach dem Evangelium mit der Gemeinde Lieder singen,
Marienlieder, denn es war Mai. Pfarrer Pflüger zog nach dem Evangelium
mit den Ministranten vor das Kirchenportal. Dort waren im Friedhof die
Honoratioren, bzw. diejenigen die sich dafür hielten, zusammen mit dem
Bürgermeister in reger Diskussion versammelt. Der Pfarrer hielt ihnen
eine Predigt, die sich gewaschen hatte. Nach der Predigt mussten sie das
Vaterunser beten und zum Schluss kniend den Segen empfangen. Am nächsten
Tag fuhr eine Abordnung nach München und beschwerte sich beim Kardinal.
Der Bürgermeister beschwerte sich bei der NSDAP-Kreisleitung, und so wurde
Pfarrer Pflüger erneut verhaftet, blieb ohne Gerichtsurteil wochenlang
im Gestapogefängnis".
In
seinem Seelsorgbereich lag Schloss Birkeneck, mit dessen Patres der Herz-Jesu-Mission
er sich gut verstand. Dort baute er zusammen mit anderen Gleichgesinnten
ein antifaschistisches Netzwerk auf und aus. Helfer fand er unter Landwirten,
Intellektuellen aus der Kreisstadt Erding, aus Wartenberg/Moosburg und
aus München. Antrieb für seine Betätigung gegen die Nationalsozialisten
war sein Bruder Heinrich, der sich schon 1936 einer Gruppe angeschlossen
hatte, die sich in der Folgezeit als "Harnier-Kreis" im Münchner
Umfeld etablierte. Der "Harnier-Kreis" aus bayerischmonarchistischen
Freundeskreisen und Stammtischrunden (BHKB, BVP, BW u.a.), formierte sich
nach 1933 in München eine Gruppe, die aktiv für ihre Überzeugung eintreten
wollte. In dem Rechtsanwalt Freiherr von Harnier fand sie 1936 ihren führenden
Kopf. Adolf Freiherr von Harnier (14.04.1903 - 12.05.1945) trat 1934 zum
katholischen Glauben über. In der Zeit des NS-Regimes verteidigte er Geistliche
vor Gericht und setzte sich bis 1939 als Rechtsbeistand für Juden ein.
Harnier war zutiefst davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus an
sich selbst zugrunde gehen werde, und hielt für die Zeit danach im monarchistischen
Sinne an rechtsstaatlichen Vorstellungen fest.
Als
kompromissloser Gegner des Nationalsozialismus war Harnier von
seinen Standesgenossen zutiefst enttäuscht; bei den "einfachen" Leuten
der königstreuen Gruppe fand er die aufrechte Haltung, die er sonst vermisste.
In Privatwohnungen hielt er Vorträge über die verbrecherische Natur des
NS-Regimes. Ziel war, für die Zeit nach dem Zusammenbruch eine Auffangorganisation
zu bilden. Harniers eifrigster Mitarbeiter, der Bauaufseher Josef Zott,
drängte auf eine Radikalisierung des Widerstands. Der Nationalsozialismus
galt als Verkörperung des "Preußentums", das Bayern seiner Freiheit und
Eigenstaatlichkeit beraubt habe. Ein Spruch dazu lautete: "Unser Himmel
ist blau-weiß, unser Feind, das ist der Preiß!" Durch unermüdliche Werbearbeit
gewann der Kreis schließlich über 130 Mitglieder in ganz Bayern. Doch
die Gestapo war all die Jahre über dabei: Über einen Kontakt Zotts zu
Kommunisten hatte sie drei Spitzel einschleusen können.
Im August 1939 rollten die Massenverhaftungen an.
Wilhelm
Pflügers Weg ins KZ
Am 16.8.1939 wurde auch Pfarrer Wilhelm Pflüger im Goldacher Pfarrhof
verhaftet und in das Wittelsbacher Palais, dem Gestapohauptquartier in
München, verbracht. Dort traf er seine sieben Brüder und seinen hochbetagten
Vater. Jetzt ahnte er den Verhaftungsgrund. Nach und nach traf er eine
Reihe seiner Freunde, die ebenfalls am gleichen Tag in einer groß angelegten
Aktion verhaftet worden waren. Die von Harnier organisierte bayerische
monarchistische Widerstandsbewegung, die unter dem Decknamen "Schmied
von Kochel" arbeitete, und der von Willi Pflüger mit initiierte katholische
Widerstandskreis waren mit einem Schlag aufgeflogen. Aber warum? Man kannte
sich gegenseitig und jeder hatte zu jedem volles Vertrauen. Schriftliche
Dokumente waren nicht verfertigt oder gesammelt worden, nur hektographierte
Flugblätter. Das Rätsel löste sich nach den ersten Vernehmungen. Ein Gestapospitzel
hatte sich das Vertrauen eines im Widerstand tätigen Münchner Polizeibeamten
erschlichen, arbeitete intensiv an der Herstellung und Verteilung von
Flugblättern mit, wurde nach und nach zu Versammlungen eingeladen und
war schließlich so eine Art Verbindungsmann zwischen verschiedenen Gruppen.
So konnte er unauffällig Namen und Adressen sammeln und an die Gestapozentrale
melden. Willi Pflüger kam in das Gefängnis Neudeck in "Schutzhaft".
Erst am 2. Dez. 1940 wurde er entlassen. Sein Bruder Luitpold kam mangels
Beweisen kurz nach seiner Vernehmung im August 1939 auf freien Fuß. Auch
der Bruder Bruno wurde im August aus der Untersuchungshaft entlassen,
aber sofort zum Kriegsdienst eingezogen. Knapp ein Jahr später fiel er
in Russland.
Nur Heinrich Pflüger blieb bis zum Prozess in Haft in Stadelheim.
Trotz vielfacher Gnadengesuche, vor allem von Seiten seines Bruders Hans,
der als Soldat in Russland kämpfte, wurde keine Haftentlassung erreicht.
Im Prozess vor dem Volksgerichtshof unter seinem Präsidenten Freisler
stützte sich die Anklage auf Hochverrat bzw. Vorbereitung hierzu. In diesem
Gerichtsverfahren wurde Heinrich Pflüger am 16. Juni 1944 zu fünf Jahren
Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, anstelle
der beantragten Todesstrafe. Zott wurde als einziger aus der Gruppe zum
Tode verurteilt und am 15. Januar 1945 in Berlin hingerichtet. Adolf Freiherr
von Harnier starb am 12. Mai, kurz nach der Befreiung aus dem Zuchthaus
Straubing, an Hungertyphus.
Die
Kriegsjahre in Goldach
Wilhelm
Pflüger war zwar im Dez. 1940 wieder im Amt in Goldach, jedoch stand er
von Seiten der Partei nun unter ständiger Beobachtung. Seine Schultätigkeit
durfte er von 1941 bis Kriegsende nicht ausüben.i Trotz eindringlicher
Ermahnung durch Gestapo und Ordinariat begann er sofort wieder Verbindung
zu Gesinnungsgenossen aufzunehmen. Außerdem hielt er sich nicht an das
Predigtverbot. Er begründete dies damit, dass er den Verkündigungsauftrag
(also auch Predigtauftrag) von seinem Bischof bei der Priesterweihe erhalten
habe. Er lasse sich das Predigen weder von den Nazis noch von dem Generalvikar
verbieten. Er war auch nicht bereit, sich zu verstecken. Kaum zurück in
Goldach, nahm Pflüger wieder Verbindung auf zu den alten bzw. neuen Vertrauten.
Da sich seine politische Einstellung nicht änderte, kam er, diesmal wegen
Verweigerung des Hitlergrußes, vom 7.11.42 – 15.11.42 erneut in Polizeihaft.ii
Der Priester war angesichts der Kriegslage vom baldigen Ende des NS-Regimes
überzeugt und hielt damit auch nicht hinter dem Berg. Im Oktober 1944
erscheint er in den "Monatsberichten des Regierungspräsidenten in München"
in einer ersten Notiz.
Die
Nachkriegszeit
In
München fand ein Gedenkgottesdienst für die Verfolgten des Naziregimes
in St. Bonifaz statt mit Weihbischof Dr. Neuhäusler, dem Abt der Benediktiner
und Pfarrer Willi Pflüger, der auch die Predigt halten durfte. Der Domchor
führte mit Solisten, unter anderen Luise Pflüger, Sopran, Friedrich Pflüger
Bass, und Musikern der Staatsoper und der Rundfunks das Mozartrequiem
auf. Radio München (Heute Bayer. Rundfunk) übertrug den Gottesdienst.
Von vielen seiner Wirkungsstätten kamen in der Folge Briefe an Pfarrer
Pflüger in Goldach. Der Pfarrhof wurde erneut von Leuten aller politischen
Richtungen besucht, um gemeinsam Vorschläge für eine freiheitliche Zukunft
zu erarbeiten. So waren der erste Wirtschaftsminister Loritz von der WAV,
der spätere CSU Kultusminister Hundhammer, Mitglieder der Bayernpartei,
der spätere Präsident des Landesentschädigungsamtes Dr. Auerbach, Vorsitzender
der Israelitischen Kultusgemeinde München und viele andere spätere Mandatsträger
im bescheidenen Pfarrhof in Goldach.
Der nach seiner Haft 1944 in Stadelheim entlassene Bruder des Pfarrers,
Heinrich Pflüger, übernahm das Am des Vizepräsidenten des Landesentschädigungsamtes
und wurde Mitglied des 1. Bayerischen Landtags nach dem Krieg. Wilhelm
Pflüger lehnte eine angebotene Kandidatur für ein politisches Mandat ab.
Die Amerikaner inhaftierten den Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von
Goldach. Sie machten ihm den Prozess und luden Pfarrer Pflüger als Zeugen.
Das Ordinariat München erteilte Pfarrer Pflüger ein Aussageverbot! An
dieses Verbot hat er sich aber ebenso wenig gehalten wie an die früheren
Predigtverbote. Das Spruchkammerverfahren gegen Pflügers Denunzianten,
den Goldacher Bürgermeister Georg Sedlmeier, war in den Augen Pflügers
eine reine Farce. Hier wurde sein Glaube an Gerechtigkeit, Schuld und
Sühne schwer erschüttert. Vielleicht war dieses Ereignis sogar mit
entscheidend für sein weiteres Wirken als Pfarrer, das geprägt war von
Frustration, gepaart mit Eigensinn und Trotz. Die ablehnende Haltung seiner
kirchlichen Vorgesetzten, deren Devise "Schwamm drüber" er absolut nicht
teilen konnte, belastete ihn schwer. Schon während der NS-Zeit war ja
die Taktik der Kirchenvertreter oft die des Stillhaltens und des Arrangierens
mit den Machthabern.
In
seiner alten Wirkungsstätte in Goldach war Willi Pflüger nicht mehr so
recht zufrieden. Ein Teil der alten Nazi-Seilschaften hatte wohl wieder
Einfluss gewonnen und Pflüger wollte einen Wechsel; nach vielen Jahren
als Nebenpriester endlich eine richtige, eigene Pfarrei. Er verfasste
mehrere Bewerbungsschreiben um eine neue Pfarrstelle, aber alle wurden
abgelehnt. Erst im Jahre 1951, nach dem Tod des Vierkirchner Pfarrers
Andreas Brädl im September, erhielt er einen positiver Bescheid und freute
sich auf seine neue Aufgabe.
Willi
Pflüger als Pfarrer in Vierkirchen
Fritz
Pflüger berichtet dazu wieder in der Biografie seines Onkels: "Ende 1951
fuhr ich Onkel Willi, der keinen PKW-Führerschein hatte, nach Vierkirchen.
Er wollte sich Pfarrhof und Kirche anschauen und sich in ruhigeres Fahrwasser
zurückziehen."
Ab 31.1.1952 wurde er Pfarrer in Vierkirchen. Inzwischen kam sein Bruder,
Pfarrer Luitpold Pflüger, aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.
Er war bis zu seiner Verhaftung 1939 Kaplan in Weichs. Er wurde im Vierkirchner
Pfarrhof aufgenommen, ließ sich verwöhnen, half seinem Bruder in der Seelsorge
und zog nach völliger Genesung nach München.
Wie
freudig Pfarrer Pflüger in Vierkirchen von der Pfarrgemeinde begrüßt wurde,
zeigt die Mitteilung in der lokalen Presse, in den Dachauer Nachrichten
am Donnerstag, den 6. März 1952.
Willi Pflüger
ging seine Aufgabe in Vierkirchen recht energisch an. Seine erste große
Amtshandlung im Mai 1952 war die Weihe der drei neuen Glocken, von denen
zwei die im Krieg abgegebenen ersetzten, eine kam zur Kirche nach Rettenbach.
Wichtige
Instandsetzungen der Kirche betrafen das Dach und die Außenrenovierung
sowie den Turm. Der baufällige Pfarrstadel, ehedem auch Viehstall, musste
1953 abgebrochen werden. Dafür wurde ein neues, kleineres Gebäude für
Gerätschaften und eine Obstmosterei errichtet. Dieser Bau steht noch heute
nördlich des Pfarrhofes.
Am 01.05.1953 kam Bruder Luitpold für zwei Monate nach Vierkirchen. Gerne
hätte ihn Wilhelm Pflüger auf Dauer in der Pfarrei gesehen, aber erst
1954 setzte ihn das Ordinariat kurzzeitig als Aushilfspriester in Vierkirchen
ein.
Pflüger führte einige Neuerungen in der Liturgie ein und legte
sich auch mit dem Kirchenchor an. Er entließ die Organistin, Frl. Roth
und einige Sänger, darunter den Bräu Adolf Hilg, möglicherweise wegen
dessen NS-Vergangenheit. Hier spiegeln sich seine unbewältigte Vergangenheit
mit dem NS-Regime und die in seinen Augen ungerechte Bestrafung seiner
Vertreter in der Nachkriegszeit wider.
Er
forderte regelmäßigen Kirchgang und sammelte Opfergeld für die Kirchenrenovierung.
In seinen Predigten schlug er harsche Töne an, verbat "Pfennigfuchsern"
das Betreten der Kirche, weil man ihm teils hunderte von Kupfermünzen
in den Klingelbeutel warf. Auch in den Gottesdienstordnungen verfasste
er sehr drastische Angriffe auf Teile der Bevölkerung, wie
beispielsweise: (…) "Anfrage: warum wird hier so viel geklatscht und
getratscht? Antwort: weil es hier viele Flach- und Hohlköpfe gibt,
die kein Interesse für höhere Probleme und tiefere Fragestellungen
haben, ihnen fehlt der Sinn für das Menschsein" (…). Zu einem Dankopfer
im Sept. 52 sammelte die Pfarrgemeinde nur 165 Mark, was er mit Goldach
verglich, wo damals zur selben Sammlung 1200 Mark gespendet worden
waren. Seine Wortwahl dazu war sehr drastisch. Für die Erstkommunion
verlangte er von den Buben Anzug und von den Mädchen lange weiße Kleider.
Alle sollten einen "Begleiter" haben, der schon Erstkommunion hatte. |
Pfarrer
Wilhelm Pflüger in Vierkirchen mit Benefiziat Jakob Schmitter und
Bruder Heinrich Pflüger
Foto: Dr. Anton Roth
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Bei der Weihnachtsmesse
führten Schüler ein theaterartiges Stück auf. In der Schule gab es die
Religionsnoten vor allem nach dem Besuch der Frühmesse vor der Schule,
wobei der Mesnersohn und die Ministranten zwangsweise gut dastanden, die
Bauernkinder, die oft schon früh im Stall mithelfen mussten, waren benachteiligt.
Er hatte daher Lieblingsschüler und unbeliebte. Auch seine Bestrafungen
waren gelegentlich hart, die Buben bekamen schon mal eine Watschn, was
damals durchaus üblich war, die Mädchen blieben meist verschont.
Trotzdem war er bei den Schülern nicht unbeliebt. Er verstand es, den
Kindern nach den Maiandachten spannende Geschichten, Geister- oder Kriminalgeschichten,
im Pfarrhof zu erzählen. Einige Vierkirchner schickten Protestschreiben
wegen Chor, Schule und Liturgie an den Generalvikar. Die Beschwerden hatten
natürlich Folgen. In einer Qualifikation vom 18.11.1953 durch Prälat Pfanzelt
sagt dieser u.a.: "Das unbeherrschte Temperament des H. Pf. Pflüger, das
sich absolut nicht beeinflussen lässt, macht seine ganze Arbeit zunichte
und ist für viele Grund genug zu einer vollen Aversio (Abwendung) im christlich
praktizierten Leben. Drum die Bitte videant consules (die Vorgesetzten
sollten achten, dass kein Schaden entsteht). Dachau, 18. Nov. 1953."
Die letzten
Jahre Wilhelm
Pflügers
Zermürbt von den Anfeindungen resignierte der Pfarrer am 28.2.1954.
Auch seine Gesundheit war durch die Folgen des KZ-Aufenthalts schlecht.
Der Kreis seiner beharrlichen Gegner war eher klein. Er hatte durchaus
auch einen großen Teil der Bevölkerung hinter sich. Positive Schreiben
um seinen Verbleib vom Burschenverein Pasenbach, deren Präses er
war, sowie von der Kirchenverwaltung, dem Frauenbund und dem Jedenhofener
Mesner konnten ihn nicht umstimmen. Anfang März fuhr der Mesnersohn
von Vierkirchen seinen Hausrat mit Traktor und Anhänger nach München.
Sein Nachfolger, Pfarrer Wolfgang Lanzinger notierte dazu in der
Pfarrchronik: "Nur 2 Jahre hatte H. H. Pfr. Pflüger Wilhelm in Vierkirchen
gewirkt. Arge Missstimmigkeiten mit einem kleinen Teil der Bevölkerung
ließen ihn auf die Pfarrei Vierkirchen verzichten.
Am 31. März nachmittags reiste H. H. Pflüger ab und begab sich zunächst
nach München ins Haus seiner Mutter, um dort einen längeren Urlaub
zu genießen. (…)".
Ab 1.9.1954 war er dann Vikar in Elbach-Miesbach. Mit ihm ging seine
Vierkirchner Haushälterin Katharina Kremmel, die ihm bis zu seinem
Tode treu blieb. In Elbach war er beliebt, blieb bis zum 1.10.1956
und ließ sich dann wieder aus gesundheitlichen Gründen in den zeitlichen
Ruhestand versetzen. Ab 19. Juni 1957 war er Kommorant in Ellbach
bei Bad Tölz.
In Ellbach wohnte er zusammen mit seiner Haushälterin Kathi Kremmel
und deren beiden Töchtern zunächst im Pfarrhof, später, von 1962-1967
im eigenen Haus im Nachbarort Greiling, Lindenweg 7. Seine Gepflogenheiten
in der Schule blieben die gleichen wie in Vierkirchen. Das Brevier
betete er täglich beim Spazierengehen im Naturschutzgebiet Ellbacher
Moor.
Am
23. Mai ersuchte er um Entlassung aus Gesundheitsgründen aus dem
Amt in Ellbach, was ihm mit Wirkung vom 1. Aug. 1967 auch gewährt
wurde. Wilhelm Pflüger besaß eine goldene Taschenuhr, die ihm bei
der Einweisung ins KZ natürlich abgenommen wurde. Nach seiner "Befreiung"
bekam er sie jedoch zurück. Er vermachte sie in seinem Nachlass
der Haushälterin Kathi Kremmel, deren Tochter sie noch heute besitzt.
Pflüger wohnte zuletzt in Garching/Alz, Futakerstr. 12 und verstarb
am 12.10.1967 im Krankenhaus Altötting. Seine letzte Ruhestätte
fand er vier Tage später im Nordfriedhof in München.
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Familiengrab
der Fam.Pflüger
Foto:
Fritz Pflüger
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Verdrängung
der Lagerhaft

Pf.
Pflüger, Kooperator Schmid und Bürgermeister Eichinger um 1952.
Foto:
A. Rapf
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Wilhelm
Pflüger hat über seine Zeit im Lager in Dachau nie etwas erzählt.
Es hat ihn aber entscheidend sowohl physisch wie psychisch verändert.
Sein Neffe berichtet dazu: "Im Gegensatz zu den Haftzeiten im Wittelsbacher
Palais, in Stadelheim und Neudeck hat der letzte Aufenthalt im KZ
Dachau meinen Onkel traumatisiert. Die KZ-Erlebnisse hat er nie
aufgearbeitet.
Von Seiten der Kirche oder sozialen Einrichtungen kam keinerlei
Angebot für professionelle Hilfe. Er hat zweimal mit mir gesprochen,
mehr aus Versehen rutschte ihm eine Bemerkung heraus, besonders
während der Zeit des KZ-Prozesses in Dachau. Auf Nachfrage schilderte
er seine Todesangst, die Todesschreie am Zaun oder beim Appell,
die brutale unmenschliche Gewalt der SS-Schergen, der widerwärtige
Gestank aus den Krematorien. Er war dann sehr aufgewühlt und verschloss
sich wieder wie eine Muschel. Ich musste ihm versprechen, mit niemanden
darüber zu sprechen."
Vor
allem zwei Dinge haben sein Leben vor und nach dem Krieg geprägt:
die zu angepasste Haltung der Katholischen Kirche während der NS-Zeit
und die seiner Meinung nach ungerechte und nachsichtige Behandlung
der Täter beim politischen Neubeginn.
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Quellen:
Fritz Pflüger: Biografische Skizzen über meinen Onkel, Pfarrer Wilhelm
Pflüger,
Brief vom 12.11.2010. AEM, Fragebogen vom Juli 1946, Buchstabe P, PA-P
III 1327;
Personalakt des Priesters Wilhelm Pflüger; Schematismus d. Geistlichkeit.
Stadtarchiv München: Polizeilicher Meldebogen B 251.
HStAMü: Monatsberichte des Regierungspräsidenten in München, StK 6695
und StK 6671.
Archiv KZ-Gedenkstätte Dachau. Pfarrchronik Vierkirchen, April 1954.
Zeitzeugen: Fr. Magdalena Pflüger München. Fr. Maria Sopp, Lohr/Main
Literatur: Ulrich von Hehl, , Christof Kösters, Petra Stenz-Maur und Elisabeth
Zimmermann: Priester unter Hitlers Terror, 1996. Ch. M. Förster, Der Harnier-Kreis,
Paderborn 1996.
Wilhelm Seutter von Lötzen, Bayerns Königstreue im Widerstand, Erinnerungen
1933-1964, Feldafing, (1978?).
Georg Schwaiger, Das Erzbistum München und Freising in der Zeit der Nationalsozialistischen
Herrschaft, 1984.
aus der Zeitschrift
HAUS, HOF UND HEIMAT, Heft 11/2011
mit freundlicher Genehmigung von Helmut Größ, Vierkirchen
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